Altreifen Wiederverwertung

Alte Autoreifen zu entsorgen gilt als eines der größten Umweltprobleme. 

  • Mittelständler recycelt Altreifen und weckt Interessen von Großkonzernen
  • Allein in Deutschland fallen pro Jahr rund 600.000 Tonnen Altreifen an / Weltweit landen 26 Millionen Altreifen auf Deponien
  • Nur 17 Prozent werden in Deutschland recycelt
  • 200.000 Tonnen Altreifen werden immer noch verbrannt. Das verursacht rund 500.000 CO2
  • Chemiekonzern BASF sieht enormes Potenzial bei Ressourcenerhalt

Aus alt mach neu, das ist inzwischen üblich, wo immer es geht. Und manchmal eine richtig gute Idee: Ein Mittelständler im Saarland hat ein Verfahren ausgetüftelt, mit dem Altreifen nachhaltig und sauber recycelt werden können. Der Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft mit weltweiten Chancen. Damit hat er auch eine enorme Nachfrage bei großen Chemie-Konzernen ins Rollen gebracht.

Altreifen recyceln statt verbrennen oder illegal entsorgen

Recycling: Granulat aus Altreifen Mit einem neuen Verfahren können Altreifen nachhaltig und sauber recycelt werden. | Bild: SR

Es gibt sie in klein und groß. Nach ein paar Jahren sind sie aber alle durch. Allein in Deutschland fallen pro Jahr rund 600.000 Tonnen Altreifen an. Ein großer Teil davon wird immer noch verbrannt. Einige werden auch illegal in Wäldern entsorgt. Pascal Klein wollte eine nachhaltige Lösung. Seit 12 Jahren arbeitet er an der Idee, ausrangierte Reifen zu recyceln und mit Hilfe eines neuen Verfahrens in ihre Ausgangsstoffe zu zerlegen. Dafür wurde er lange Zeit belächelt.

Pascal Klein, Gründer und Vorstandsvorsitzender Pyrum AG:

„’Lasst die Jungs mal basteln.‘ Den Satz habe ich oft gehört. Auch damals 2011-12, als wir die kleine Anlage, unsere Pilotanlage, fertig hatten, hieß es: Ist ja schön, was ihr Buben da im Saarland gebaut habt. Aber was wollt ihr denn?“

Na, Reifen wieder in die ursprünglichen Bestandteile zerlegen – quasi so, als würde aus einem Kuchen wieder Eier, Mehl und Zucker zurückgewonnen.

Täglich Ressourcen aus 2.500 Altreifen gewinnen

Jetzt ist das Verfahren marktreif. Die Firma verarbeitet inzwischen rund 2.500 Reifen pro Tag. Alles lässt sich restlos verwerten. Erster Schritt: Die Reifen schreddern. Aus den Textilfasern wird Dämmstoff. Den aussortierten Draht kaufen Stahlwerke gerne ab. Der Rest – eine Art Gummigranulat – wird dann ganz fein gemahlen und wandert in einen Reaktor. Eine Konstruktion, die bislang noch niemand so hingekriegt hat.Grafik 1: Das Pyrolyse-Verfahren der Firma Pyrum in Dillingen Grafik 1: Das Pyrolyse-Verfahren der Firma Pyrum in Dillingen | Bild: SR Grafik 2: Das Pyrolyse-Verfahren der Firma Pyrum in Dillingen Grafik 2: Das Pyrolyse-Verfahren der Firma Pyrum in Dillingen | Bild: SR

Im Reaktor wird der Gummi unter Luftausschluss bei rund 700 Grad gekocht. Pyrolyse, sagen die Fachleute. Das Granulat verdampft quasi – wie Wassertropfen auf einer Herdplatte. Dadurch zerfällt es in seine Bestandteile Gas, Koks und Rohöl. Das Gas wird in zwei Blockheizkraftwerke geleitet. Damit wird der komplette Energiebedarf der Anlage gedeckt. Der Koks wird überwiegend an Reifenhersteller verkauft. Die produzieren damit neue Pneus. Aus dem Öl können beispielsweise Kunststoffe oder Verpackungen hergestellt werden. Das ist ökologisch UND ökonomisch.

Pascal Klein, Gründer und Vorstandsvorsitzender Pyrum AG:

„Wir haben einen Prozess, da gibt’s am Eingang Geld und am Ausgang Geld. Und in der Mitte ist ein Prozess, der sich komplett selbst mit Energie versorgt und sonst auch keine Verbrauchsgüter hat. Das heißt, wir kriegen Entsorgungsgebühr für den Abfall am Eingang und bekommen Vergütung für die Endprodukte; Das Öl und auch Karbon und Stahldraht werden auch vergütet. Und somit schließt sich der Kreis.“

200.000 t verbrannte Reifen entsprechen etwa 500.000 t CO2 /Jahr

Für Experten werden solche Recylingverfahren immer wichtiger. Denn auf dem Weg in eine klimaneutrale Welt wird es entscheidend sein, möglichst viele Abfälle wieder in einen „Urzustand“ zurückzuführen. Da gibt es bei den Altreifen noch viel Luft nach oben:Grafik 3: Altreifenverwertung (Quelle: Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie e.V.) Grafik 3: Altreifenverwertung (Quelle: Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie e.V.) | Bild: SR

Von den 600.000 Tonnen, die jährlich allein in Deutschland anfallen, werden nur 17 Prozent restauriert und erneuert. Rund 42 Prozent werden als Gummigranulat von der Bauindustrie oder zur Herstellung anderer Gummiprodukte verwendet. Etwa 200.000 Tonnen werden aber nach wie vor verbrannt – beispielsweise in Zementwerken.

Prof. Dr. Henning Bockhorn, Karlsruher Institut für Technologie:

„Wenn man diese 200.000 Tonnen Altreifen nicht verbrennen würde, dann könnte man in erster Näherung etwa 500.000 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Das ist schon ein enormer Einspareffekt.“

Und weltweit landen Unmengen der geschätzt 26 Millionen Tonnen Altreifen jährlich auf Mülldeponien oder werden verbrannt – oft mit schlimmen Umweltschäden. Dabei sind Altreifen wahre Rohstoffquellen und könnten Schwung in die angestrebte Kreislaufwirtschaft bringen.

Prof. Dr. Henning Bockhorn, Karlsruher Institut für Technologie:

„Sie können alle Bestandteile, die im Gummi enthalten sind, chemisch auftrennen und wieder in Rohstoffe umwandeln. Von daher ist das Recyclingverfahren von Altreifen schon so etwas wie eine eierlegende Wollmilch-Sau, weil es relativ vielfältig in der Produktpalette ist.“

BASF sieht enormes Potenzial

Pascal Klein, CEO der Pyrum Innovations AG und und Dr. Christian Lach, Projektleiter ChemCyclingTM bei BASF, vor der Reifenpyrolyseanlage. Pascal Klein, CEO der Pyrum Innovations AG und Dr. Christian Lach, Projektleiter ChemCyclingTM bei BASF, vor der Reifenpyrolyseanlage. | Bild: Pressefoto

Gleichzeitig interessieren sich Kunden immer stärker für klimaneutrale Produkte. Und die EU zieht seit Jahren die Daumenschrauben für mehr nachhaltige Produktion an. So wurde auch die BASF hellhörig, vor allem wegen der guten und stabilen Qualität des Pyrum-Öls. Im vergangenen September stieg der Chemiekonzern bei Pyrum ein. Investierte 16 Millionen Euro und agiert seit dem als strategischer Partner. Denn:

Lars Kissau, Leiter Strategische Geschäftsentwicklung Petrochemicals bei BASF:

„Wir sehen ein großes Potenzial. Allein in Europa sind es ja mehrere Millionen Tonnen Altreifen, die heute nicht recycelt werden. Also das ist schon eine Potenzial in Europa. Und das Thema ist natürlich ein weltweites Problem, also von daher allein das Reifen-Recycling bietet ein großes Potenzial.“ 

Die BASF setzt das recycelte Öl schon jetzt bei der Kunststoff-Produktion ein. Bis zu 100.000 Tonnen will sie mittelfristig haben. 15 neue Werke sollen deshalb in den kommenden fünf Jahren gebaut werden. Für Pyrum hat sich durch den Einstieg des Chemieriesen vieles verändert. Jahrelang ging es vor allem darum, Geld und Investoren aufzutreiben. Jetzt ist es umgekehrt.

Pascal Klein, Gründer und Vorstandsvorsitzender Pyrum AG:

„Dann haben sie auch ein komplett anderes Standing auch bei Investoren und Banken. Weil die ganz einfach sagen: „Okay, wenn die BASF, wenn die investieren, dann muss ja was dran sein. Und seitdem sind wir auch bei den Banken gern gesehener Kunde. Und vorher war es wirklich schwer, ein Firmenauto zu finanzieren.“

Ausrangierte Altreifen als Rohstoffquelle nutzen – ein wichtiger Ansatz, der jetzt aus den Kinderschuhen hinauswachsen muss. Denn nur durch den vermehrten Einsatz solcher Technologien sind die ambitionierten Klimaziele tatsächlich zu erreichen.

Ein Beitrag von Peter Sauer

Onlinebearbeitung: Ute Kunsmann

Der Beitrag wurde produziert vom Saarländischen Rundfunk (SR) für „Das Erste“.

Stand: 31.03.2021 23:08 Uhr